ZUKUNFTSWERKSTATT
Wege zu einem menschlichen Wirtschaftsleben

Wege zu einem menschlichen Wirtschaftsleben

Im Einheitsstaate, in dem die Glieder des Lebens ineinander verfließen, wird eine wirtschaftliche Gruppe ihre Interessen zum Gesetz, zum öffentlichen Recht machen können. In dem dreigliedrigen Organismus wird dies nicht geschehen können, weil wirtschaftliche Interessen nur im Wirtschaftskreislauf sich ausleben können und keine Möglichkeit besteht, sie in das Recht hinüber fließen zu lassen. (Rudolf Steiner, GA 24, S. 218)

Das Wirtschaftsleben erscheint in unserer heute globalisierten Welt meilenweit entfernt von einer brüderlichen Haltung wie sie in der Sozialen Dreigliederung zum Tragen kommen soll. Gruppenegoistische Interessen der Finanz-, Ernährungs-, Digitalisierung- oder Pharmaindustrie haben sich längst bis in staatliche und global agierende Spitzeninstitutionen hineingefressen, um dort ihren Einfluss geltend zu machen. Was zu Zeiten Rudolf Steiners zum Teil noch auf nationaler Ebene oder doch im Rahmen bestimmter begrenzter Wirtschaftsräume stattfand, hat sich während der letzten hundert Jahre vollends auf die globale Weltbühne verlagert, wo alles auf komplexe Weise miteinander verwoben ist. Laut Rudolf Steiner war es bereits zu seiner Zeit dringend erforderlich, dass wirtschaftliches Handeln auf den Wirtschaftskreislauf begrenzt bliebe. Dann sei die ungesunde Verquickung mit dem Staatlichen nicht mehrmöglich. Er geht also davon aus, dass nicht allein eine zuvor schon vorhandene moralische Einsicht der Menschen der eigentliche Antrieb für die Brüderlichkeit im Wirtschaftsleben sein müsse, sondern dass bereits seine autonome Organisation dazu beitrage, dieses zu gewährleisten. Das würde bedeuten, dass gelebte soziale Dreigliederung ein brüderliches Wirtschaften entwickeln würde. In diesem Gedanken scheint mir ein wichtiger Dreh- und Angelpunkt für die Zukunft des menschlichen Zusammenlebens zu liegen. Damit wir im Geistesleben überkommene Weltbilder und Denkgewohnheiten im Inneren jedes einzelnen Menschen überwinden, muss dafür ein Bewusstsein bei den Menschen geschaffen werden, damit dafür aus dem Wirtschaftsleben das Geld zur Verfügung gestellt wird. Dass soll heißen, dass jeder Mensch dort genug verdient, damit er sein Geistesleben bezahlen kann. Das alles sind umfangreiche Prozesse.

Was bedeutet nun wirtschaftliches Denken und Handeln im Sinne der Dreigliederung
des sozialen Organismus?

Eine wichtige Grundidee ist, dass jeder einzelne Mensch und jede Gruppe innerhalb der Gesellschaft seine bzw. ihre Bedürfnisse hat, die durch jeweils andere Teilnehmer des Wirtschaftslebens erfüllt bzw. befriedigt werden sollen. In diesem Füreinander steckt schon ein wesentlicher Aspekt der Brüderlichkeit darin. Ein Wirtschaftsleben im engeren Sinne beginnt erst zu existieren, sobald wir von der Eigenversorgung absehen und beginnen, für andere zu produzieren und von Anderen produzierte Waren zu erwerben. Geschichtlich gesehen war dies nicht immer der Fall. Erst allmählich begannen die Menschen, Waren gegeneinander zu tauschen und später mit Geld als Zwischentauschmittel zu bezahlen. Rudolf Steiner sah in der modernen Arbeitsteilung einen Ansatz zur Überwindung des Egoismus. In seinem Nationalökonomischen Kurs erklärte er: „Indem die moderne Arbeitsteilung heraufgekommen ist, ist die Volkswirtschaft im Bezug auf das Wirtschaften darauf angewiesen, den Egoismus mit Stumpf und Stiel auszurotten. Bitte verstehen sie das nicht ethisch, sondern rein wirtschaftlich! Wirtschaftlich ist der Egoismus unmöglich. Man kann nichts für sich mehr tun, je mehr die Arbeitsteilung vorschreitet, sondern man muss alles für die andern tun“.

Ein weiterer wichtiger Aspekt eines brüderlichen Füreinander im Wirtschaftsleben ist die Einigung darüber, was als Ware gilt und was nicht. Unsere Lebensgrundlagen wie die Luft zum Atmen, das Wasser und der Grund und Boden, auf dem wir mit der Urproduktion beginnen und der eines der fundamentalen Produktionsmittel ist, dürfen nicht als Ware gehandelt werden. Das bedeutet auch, dass niemand Eigentümer dieser Dinge werden kann, sondern sie lediglich für bestimmte Zwecke nutzen dürfen sollte. Auch die menschliche Arbeitskraft darf nicht als Ware betrachtet werden. Wir bringen unsere Fähigkeiten vielmehr in ein Unternehmen ein und werden dadurch zum Mitunternehmer und nicht wie bisher zum Angestellten bzw. Arbeitnehmer, der sich in einem Abhängigkeitsverhältnis befindet. Das bedeutet allerdings auch, dass wir im Sinne des Unternehmens verantwortlich handeln.

Geld existiert im dreigegliederten Organismus als Gegenwert für Waren (Kaufgeld), als Leihgeld für Investitionen z. B. in Produktionsmittel und als sogenanntes Schenkgeld,das aus den Überschüssen im Wirtschaftsleben hervorgeht und damit das Geistesleben bezahlt und auch durch Beiträge, Spenden usw. unterstützt, damit dieses seine wertvolle gesellschaftliche Aufgabe ausüben kann. Zur Ware oder zum Spekulationsobjekt, wie heute üblich, dürfte Geld jedoch niemals werden, denn dann steht ihm kein wirklicher Warenwert mehr gegenüber. Immer wieder wird heute eine Gold gedeckte Währung gefordert. Aber auch das wäre nur ein scheinbarer Gegenwert, denn Gold selber stellt als Edelmetall eine Ware da. Gold wird gehandelt. Man kann sich ein Goldlager anlegen. Geld bekommt seinen Wert als Äquivalent zu jeder Ware, nicht nur zu Gold. Geld ist im eigentlichen Sinn ein Anrecht, für den jeweiligen nominellen Wert in Zukunft etwas anderes zu bekommen. Es ist eine Art Vertrag oder Quittung. Eben ein Zwischentauschmittel. Gier und der Zwang zum permanenten Wachstum hätten mit der Beschränkung des Geldes auf die genannten Zwecke ausgedient. Banken hätten dann unter anderem noch die Aufgabe, das Geld buchhalterisch zu verwahren, nicht aber Geld als Spekulationsobjekt zu handeln. Sie könnten wieder zu einer Begegnungsstätte von Investoren und Geldgebern werden, wo über den sinnvollen Einsatz der Geldmittel beraten würde. So war es zu den Anfangszeiten der GLS-Bank durchaus vorgesehen, allerdings hat auch sie sich inzwischen zu einer heute üblichen Bank entwickelt.

Das Instrument, das dem Wirtschaftsleben dient, ist die Assoziation. Ein Wahrnehmungs-Gremium, in dem die gegenseitigen Bedürfnisse, Gesichtspunkte, Erfahrungen der Beteiligten auf den runden Tisch gelegt und beraten werden. Am Wirtschaftsleben beteiligt sind Produzenten/Hersteller, Handel/Verkehr und Konsumenten/Verbraucher. Bei Produzenten und Händlern entsteht ein Aufwand, um die Ware bereit stellen zu können. Dies können für den Produzenten Wareneinkauf der Rohmaterialien/Zubehör, Produktionskosten, Unterhaltung der Fertigungsanlagen, Verpackung, Einkommen für die Unternehmer und Mitunternehmer sein. Für den Händler mögen Transport- und Lagerkosten hinzukommen, Produktionskosten jedoch entfallen. Diese Kosten müssen bei der Findung eines fairen Produktpreises berücksichtigt werden. Der Konsument hat seinerseits eine Qualitätsvorstellung und unter Umständen auch ein Preislimit, das er bereit ist, für ein Produkt zu bezahlen. Außerdem kennt er den Bedarf, den er und seine Mitkonsumenten an bestimmten Produkten haben. Jeder der Vertreter artikuliert am runden Tisch also seine Bedürfnisse und gemeinsam wird ein assoziatives Urteil gefällt, das möglichst allen Beteiligten gerecht wird. Dieses assoziative Urteil gilt nicht als zwingende Vereinbarung, sondern als Richtlinie, an die sich alle aus Einsicht in die Bedürfnisse der anderen Teilnehmer aus Brüderlichkeit halten. Eigentlich liegt es ja auf der Hand, dass die Wirtschaft als Ganzes überhaupt nur dann funktionieren kann, wenn es jedem der Beteiligten gut geht. Ändern sich die Bedingungen, z. B. aufgrund steigender Energiekosten, kann die Assoziation erneut am grünen Tisch zusammenkommen.

Ursula Dziambor

Categories: HINTERGRÜNDE

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