Kann Schule auch anders?
Ich weiß ja nicht, welcher Schalk mir da im Nacken saß, und er hat mir einen mächtigen Schrecken eingejagt. Zum Glück kann ich inzwischen wieder darüber lachen. So bekam ich über einen Verteiler der Gartenbaulehrer, wo meine Adresse noch gelistet ist, die Nachricht, dass die Waldorfschule in Köln einen Ambitionierten sucht, der den Gartenbauunterricht übernehmen kann. Ich meldete mich dort mit "ich kann euch besuchen und schauen, was ich für euch tun kann." Frech, gell? Und da war dann das Stöckchen sogleich, dass mir, um mich zu prüfen gehalten wurde. Denn die Stelle dort hatte bereits einen Interessenten, für mich sei dessen vorangegangene Stelle dafür frei. Rückzieher? Unmöglich! Also stellte ich mich dort vor. Mein ganzer Charme, Geschichten, welche die Erfahrung und Einsicht in die hohe Kunst der Pädagogik verkünden sollten, trafen blinden Auges ins Schwarze. Ich, also einer, der schon vor zwölf Jahren dem Lehrberuf abgeschworen hatte und nun in Sachen Dreigliederung des Sozialen Organismus forscht und schreibt, soll nun wieder an die Schule, um Kindern das Leben in und mit der kultivierten Natur nahe zu bringen. Rückzieher? Unmöglich! Und da war er, der Zweifel, genau wie damals. Wie kann ich diese Intention "Kindern das Leben in und mit der kultivierten Natur nahe zu bringen" leben, wenn doch Schule so ist, wie Steiner es einst verflucht hatte, mit Stundenplan eine "Mördergrube wahrer Pädagogik"? Ich unterrichte also Jugendliche im Alter zwischen 11 und 15 Jahren nach Stundenplan in Gruppen von 15 - 17 individualistischen Spaßvögeln bzw. Träumenden von einem freien Leben. Lernen nach eigenem Rhythmus und Einsicht in die großen und bedeutenden Zusammenhänge des Lebens, wie kann ich das unter diesem Korsett bewerkstelligen? Ja, es überkam mich eine Angst, die mich wochenlang vom erholsamen Schlaf abhielt. Es ist ja nicht so, dass ich nicht die ganze große Bandbreite der Gartenthemen zur Verfügung hätte. Die Ausstattung ist auch durchaus komfortabel. Doch ist es mir absolut bewusst, dass die gegebenen Strukturen dieser Schule unbedingt Charaktere auf den Plan rufen, welche die Sinnhaftigkeit des Fachs und die Standhaftigkeit meiner Person auf Herz und Nieren prüfen. Wie soll ich dem begegnen? Autoritär, meinen Prinzipen der Anerkennung vorgeburtlichen Lebens, das seine Fortsetzung in der aktuellen Inkarnation sucht, verleugnen? Ordnen wäre ja gewiss kein Fehler, wenn da nicht noch viele weitere ganz andere Gemüter auf ihre Berücksichtigung harren. Nun gut, der Garten stellt die Bedingungen. Auf diese muss jedoch Zeit bestehen sich darauf einlassen zu können. Das fällt umso schwerer, wenn das Individuum vorher bereits durch eine andere Lehrkraft beansprucht wurde und wenn für das Einstimmen in die Naturgegebenheiten gerade mal 85 Minuten zur Verfügung stehen. Fortsetzen danach erst wieder in 7 Tagen unter gleicher Prämisse. Dass dieses nicht sonderlich fruchtbringend ist, habe ich vormals schon erlitten. Also bleibt Gartenbauunterricht wohl mehr oder weniger eine Spielstunde mit gelegentlich kleinen sachpädagogischen Lichtblicken für den einen oder die anderen Schüler bzw. Schülerin. Was wäre, wenn dem Lernenden ein Lernsystem an die Hand gegeben würde, das interdisziplinäre Aufgaben stelle, um die zu erfüllen ihn gewissermaßen, wie in einer Schnitzeljagd zu Lehrkräften schicke, die dann so viel Zeit einräumen, wie der Schüler (m, w, d) benötigt, um ein befriedigendes oder besser noch erfüllendes Ergebnis zu erlangen? Ganz ohne Mördergrube, in Liebe und aller Ruhe. Geht das bei einer Schülerschaft von ca. 300? Man möge sich in Skandinavien umschauen. Dort soll es so etwas geben. Oder man studiere das Lyceum von Maria Montessori. Waldorfschule kann auch so gehen mit allen inspirierenden Besonderheiten, die sie zu bieten hat. Ja, ich weiß: Lehrer scheuen die Mehrarbeit wie ihre Schüler.
Alexander Droste